Entwicklungsmöglichkeiten im Pflegeberuf

Fachinformation - geschrieben am 04.02.2022 - 12:37
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Der Pflegeberuf ist überaus anspruchsvoll, vielseitig, interessant und komplex. Pflegende arbeiten in vielen Arbeitsfeldern und können diese im Laufe ihrer Berufsbiografie wechseln und/oder sich in den jeweiligen Feldern vertiefen und eine hohe Praxisexpertise (Expertentum) erwerben.

Komplexes Aufgabenspektrum

Pflegende unterstützen dabei Menschen, die vor allem vor dem Hintergrund chronischer und/oder akuter Erkrankungen nicht in der Lage sind, ihren Alltag umfänglich selbst zu gestalten bzw. die erforderlichen Aktivitäten des täglichen Lebens selbstständig auszuführen. In diesem Zusammenhang sind Pflegende auch präventiv und gesundheitsfördernd tätig. Zumeist arbeiten sie dabei in multidisziplinären Arbeitsteams, die mit verschiedenen Perspektiven und Zielsetzungen in den verschiedenen stationären und ambulanten Settings der Gesundheitsversorgung zusammenwirken. Pflegende arbeiten in einem existentiellen Kontext und tragen mit ihrer bewusst wahrgenommenen Beziehungsarbeit auch dazu bei, dass Patient*innen oder Bewohner*innen und ihre Angehörigen bzw. Freunde die Lebenslage der Pflegebedürftigkeit in ihr Leben integrieren und mit ihr leben können. Ethische Fragestellungen begleiten Pflegende in allen Pflegesituationen und sie müssen in der Lage sein, verschiedene Werte im Handeln abzuwägen und dabei ihren Abwägungsprozess verstehbar machen.

Diese kurze Skizze des Pflegeberufes lässt erahnen, wie viele fachliche, methodische, sozial-kommunikative, ethische und personelle Kompetenzen im Verlauf des Berufslebens erworben werden müssen, um dem komplexen Aufgabenspektrum des Pflegeberuf umfänglich gerecht zu werden. Insbesondere national wurden diese Bildungserfordernisse lange nicht erkannt; international hingegen seit Jahrzehnten in geeignete (akademisch-hochschulische) Bildungsstrategien umgesetzt.

Pflegeteams mit unterschiedlichen Qualifikationsniveaus

International ist es üblich, dass in Pflegeteams unterschiedliche Qualifikationsniveaus vertreten sind. Durchdachte Delegationskonzepte regeln, welche Aufgaben mit welchen Qualifikationsniveaus übernommen werden können. Dabei müssen Pflegende grundsätzlich über eine staatliche Berufszulassung zum Pflegeberuf verfügen, um die Kernaufgaben der Pflegediagnostik, der Pflegeplanung, der Pflegeintervention und der Pflegeevaluation zu übernehmen. Im aktuellen, nationalen Beruferecht (Pflegeberufsgesetz von 2020) sind diese Aufgaben den Pflegenden vorbehaltlich zugewiesen (Vorbehaltsaufgaben). Allerdings muss hier betont werden, dass der Erwerb der staatlichen Berufszulassung zur Pflegefachfrau/Pflegefachmann (nur) eine erste wesentliche Qualifikation darstellt, auf die dann im Laufe des Berufslebens umfangreich aufgebaut werden kann.

Die Berufszulassung kann prinzipiell auf zwei Bildungswegen erworben werden:

1) Fachschulische Ausbildung und

2) Hochschulstudium (primärqualifizieren- der Pflegestudiengang mit Erwerb eines Bachelorabschlusses und einer staatlichen Berufszulassung).

Weiterqualifizierungsmöglichkeiten sind wichtig

Nach dem Erwerb der staatlichen Berufszulassung besteht neben der Möglichkeit der pflegefachlichen Vertiefungen auch die Möglichkeit, sich hochschulisch für den Bereich des Pflegemanagement oder der Pflegepädagogik zu qualifizieren. Das deutsche Bildungssystem ist heute so durchlässig, dass auch Pflegenden mit einer fachschulischen Ausbildung und einem mittleren schulischen Abschluss sich akademisch weiter qualifizieren können. Die Hochschulen bieten in diesem Zusammenhang umfangreiche Beratungen an.

Die Studiengänge „Pflegemanagement“, „Pflegepädagogik“ und „Pflegewissenschaft“ sind seit ca. 25 Jahren in Deutschland etabliert und trotzdem werden noch immer zu wenige Pflegende in diesen Bereichen hochschulisch qualifiziert. Seit Jahren besteht beispielsweise ein deutlicher Mangel an Pflegepädagog*innen, die mittlerweile auch eine einschlägige Masterqualifikation benötigen. Aktuell ist es den Fachschulen teilweise kaum noch möglich, die erforderlichen Ausbildungszahlen und damit auch den erforderlichen Nachwuchs in der Pflege abzusichern, denn es fehlen diese hochschulisch qualifizierten Pflegepädagog*innen. Hier ist die Politik auf Bundes- und Länderebene gefragt, die bestehenden Studienplätze im Bereich der Pflegepädagogik auszubauen und neue Studienstandorte aufzubauen. Im Bereich des Pflegemanagements sieht es nicht wesentlich besser aus! Die Akademisierungsquote in der Pflege, die aktuell nur geschätzt werden kann, liegt bei zwei und drei Prozent – dies ist gemessen an der Gesamtgröße der Berufsgruppe viel zu niedrig, um auch nur den nötigsten Entwicklungsaufgaben in der Pflege nachzukommen.

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Ein Arbeitsalltag, der alle Reserven und Kräfte absorbiert, wird keine Grundlage für Weiterentwicklung sein können. Deshalb müssen die Arbeitsbedingungen so ausgesteuert werden, dass Pflegende in ihrem gesamten Berufsleben Freiräume für Bildung gut nutzen können.

Prof. Dr. Astrid Elsbernd

Und es ist überaus wichtig, dass Pflegende sich insbesondere auch pflegefachlich/pflegewissenschaftlich weiter qualifizieren! Das Angebot hierzu ist allerdings in Deutschland noch immer nicht so differenziert und umfangreich – weder auf hochschulischer Ebene noch auf der Ebene der staatlich anerkannten Weiterbildungen. Bildungsentwicklungsbedarf für Pflegende besteht vor allem vor dem Hintergrund der Erkrankungen und der damit verbundenen Pflegephänomene. Wie auch in der Medizin müssen Pflegende heute umfangreiches und detailliertes pflegerisches Fachwissen erwerben, um die Patient*innen oder Bewohner*innen kompetent und damit wirkungsvoll pflegerisch zu begleiten.

Beispielsweise benötigen Patient*innen, die onkologisch erkrankt und medizinisch behandelt werden, umfangreiche pflegerische Unterstützung beispielsweise in den Bereichen „Schmerzmanagement“, „Ernährungsmanagement“, „Hautpflege“, „Mundpflege“, „sichere Mobilität“, „Entlassungsmanagement“. Dabei muss die Pflegefachkraft in der Lage sein, die individuelle Lebenssituation in den Blick zu nehmen und die Wünsche und Anliegen der Patient*innen vor dem Hintergrund der oftmals existentiellen Situation einzuordnen. National und vor allem international liegt umfangreiches Wissen vor, das Pflegefachpersonen sich erschließen und dann anwenden können. Dabei müssen sie allerdings umfangreich unterstützt werden.

Hohes Maß an Reflexion und persönlicher Entwicklung

Im Rahmen der fachlichen Weiterbildungen müssen die Pflegenden nicht nur erlernen, wie sie an das vielfältige Wissen gelangen, sondern sie müssen auch in der Lage sein, das Wissen in seiner Evidenzkraft und wissenschaftlichen Zuverlässigkeit einzuordnen, um es dann auf den jeweiligen Einzelfall anzuwenden. Hier werden sie unterstützt von Reviews, Metaanalysen, Standards und Leitlinien. Es ist jedoch wichtig, dass die Anwendung in den Bildungsmaßnahmen trainiert wird, um den späteren Theorie-Praxis-Transfer besser bewältigen zu können. Dabei müssen die Pflegenden auch von Seiten des Pflegemanagements unterstützt werden. Moderne und angepasste Führungsinstrumente und -stile sichern die qualitative Arbeit von Pflegenden und ihren Teams ab. Regelmäßige Bildungsmaßnahmen ermöglichen das sukzessive Vertiefen von Fachwissen im weitesten Sinne. Dabei müssen zugleich auch methodische, soziale, kommunikative, ethische und personelle Kompetenzen erworben und vertieft werden.

So gesehen können sich Pflegende fachlich und auch persönlich weiterentwickeln. Dass Pflegende sich diesen Entwicklungen im Alltag stellen, ist überaus erforderlich. Die Entwicklungen in der eigenen Disziplin und auch in der Medizin sind teilweise rasant und Pflegende müssen lernen, sich immer wieder neues Wissen anzueignen. Und zugleich sollten Pflegende sich auch persönlichen Entwicklungen öffnen, denn das Arbeiten in existentiellen Kontexten erfordert ein hohes Maß an Reflexion und persönlicher Entwicklung. Pflegende, die in der Lage sind, Patient*innen oder Bewohner*innen in diesen schweren Lebenskrisen beizustehen, sollten selbst zur eigenen persönlichen Weiterentwicklung und zur Gesunderhaltung professionelle Unterstützung von Zeit zu Zeit annehmen (z.B. im Rahmen von Supervision), um auch die belastenden Seiten des Berufes zu integrieren.

Freiräume für Bildung und Weiterentwicklung

Die Entwicklungsmöglichkeiten im Pflegeberuf sind vielfältig – können jedoch potenziell von Pflegenden nur dann sinnvoll genutzt werden, wenn die Arbeitsbedingungen in den Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen so gestaltet sind, dass Freiräume für Bildung vorhanden sind. Freiräume meinen hier auch, dass Pflegende Zeit und Kraft für Weiterentwicklungen haben, die ihrerseits ja auch Ressourcen benötigen. Ein Arbeitsalltag, der alle Reserven und Kräfte absorbiert, wird keine Grundlage für Weiterentwicklung sein können. Deshalb müssen die Arbeitsbedingungen so ausgesteuert werden, dass Pflegende in ihrem gesamten Berufsleben Freiräume für Bildung gut nutzen können. Dies ist im Übrigen auch in anderen Berufen selbstverständlich und nicht erwähnenswert.

Soll-Pflegeleistung als Ausgangspunkt für Personalbemessung erforderlich

Insbesondere die letzten 20 Jahre ist es im Pflegeberuf zu starken Arbeitsverdichtungen bei abnehmender Personalquote gekommen. Deutschland ist weit davon entfernt, eine international vergleichbar ausreichende Pflegepersonalausstattung zu haben. Versuche, Personalbemessungsinstrumente politisch einzuführen, sind vor allem am politischen Willen gescheitert, den Pflegeberuf insgesamt mit mehr Personal auszustatten. Unterschiedliche Personalbemessungsverfahren sollten dabei nicht die Ist-Situation abbilden, denn vor dem Hintergrund der momentanen Personalsituation ist nicht anzunehmen, dass Pflegende alle Pflegeleistungen, die qualitativ sinnvoll und/oder erforderlich sind, in einer fachlich auch begründeten Weise ausführen bzw. anbieten. Deshalb ist es dringend erforderlich, dass die Soll-Pflegeleistung (so wie sie auch in Standards und Leitlinien beschrieben werden und die sich am diagnostizierten Pflegebedarf ausrichtet) zum Ausgangspunkt der Personalbemessung genommen wird. Welche Bemessungssysteme dabei auch immer angewendet werden – insgesamt benötigen die Pflegenden wieder mehr und sicher auch kontinuierlich weitergebildetes Pflegepersonal. Eine Orientierung am beispielsweise europäisch gängigen Patient*innen/Bewohner*innen-Pflegekraftverhältnis wäre ein guter Anfang. Dabei ist dringendst zu fordern, dass die Politik auf Bundes- und Landesebene jetzt wenigstens einen Teil ihrer vielen Versprechen hinsichtlich der erforderlichen Weiterentwicklungen des Pflegeberufes einlöst.

Prof. Dr. Astrid Elsbernd

Studiendekanin Bachelorstudiengang Pflege (in Kooperation mit der Universität Tübingen, Med. Fakultät)
Leitung des Institutes für Gesundheits-und Pflegewissenschaften
Hochschule Esslingen Fakultät Soziale Arbeit, Bildung und Pflege
www.hs-esslingen.de/soziale-arbeit-bildung-und-pflege/
Beitrag aus PARITÄTinform 4/2021

Aktuelle Veröffentlichung

Studie zur aktuellen Lage in Einrichtungen der stationären und ambulanten Langzeitpflege in Baden-Württemberg während der Corona-Pandemie. Laufzeit: 2020 bis 2021

Detmold 2021, 252 Seiten, ISBN 978-3-89918-289-7, 24,90 Euro

Die Corona-Pandemie stellt die stationäre und ambulante Pflege in Deutschland vor komplexe Herausforderungen. In den weitreichenden Ergebnissen der qualitativ und quantitativ angelegten Forschungs­arbeit zeigt sich, dass neue, aber auch bereits vor der Corona-­Pandemie existierende Problemlagen bewältig werden müssen. Ziel der Studie ist es, die unterschiedlichen Perspektiven von Betroffenen und ihren Angehörigen, den Mitarbeitenden und den Führungspersonen in ihrer Komplexität herauszuarbeiten, Wertediskurse zu eröffnen und die Themen zu identifizieren, die von den Einrichtungen der Langzeitpflege konsequent bearbeitet und darüber hinaus gesellschaftspolitisch neu geordnet und gestaltet werden müssen.

https://www.jacobs-verlag.de/elsbernd-krise/

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