The New Normal in der Schule?

Fachinformation - geschrieben am 31.05.2022 - 13:33
leeres Klassenzimmer mit Maske am Stuhl

Aus dem Blickwinkel einer Lehrkraft in Zeiten von Corona

Studien belegen: Die Pandemie wirkt sich auf die Bildung und die psychosoziale Entwicklung von Schüler*innen aus. Etwa jede*r vierte Schüler*in im Land (27 Prozent) weist erhebliche Lernrückstände auf. 67 Prozent der Schüler*innen zeigen Konzentrationsschwierigkeiten und Motivationsmängel. Aggressives Verhalten und Zurückgezogenheit haben ebenfalls stark zugenommen[1].

Welche Bedeutung hatte die Digitalisierung mit Beginn der Pandemie?

Während der Schulschließungen im Jahr 2021 war der Ausbau der digitalen Infrastruktur in aller Munde. Der Digital Pakt Schule (2020) [2] war ein richtiger und wichtiger Schritt und hat die Bundesländer bei der Digitalisierung in der Pandemiezeit vorangebracht.

Waren die Schritte zur Digitalisierung nachhaltig? Wie ging es im Sommer 2021weiter?

Mittlerweile hat das Kultusministerium in Baden-Württemberg mit seinen beiden Organen ZSL   (Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung) und IBBW (Institut für Bildungsanalysen BW) viele Fortbildungsangebote für Lehrkräfte, digitale Arbeitsmaterialien, eine Lernplattform und digitale Konzepte auf den Weg gebracht. „Die Technik muss der Pädagogik folgen“ [3] lautet die Aussage des Kultusministeriums. Aber hat dies im schulischen Alltag funktioniert? Diese Frage hat mich immer wieder beschäftigt.

Aufgrund der hohen Geschwindigkeit der Ereignisse durch die Pandemie wurde Schule nicht zur Akteurin und Entwicklerin digitaler pädagogischer Konzepte, sondern versuchte nach bester Möglichkeit die Schüler*innen mit Lerninhalten zu versorgen. Die Pädagogik folgte leider den technischen Möglichkeiten. Es genügt eben nicht nur, Kindern und Jugendlichen Hardware zur Verfügung zu stellen. Diese ist Grundvoraussetzung für digitalen Unterricht, aber Digitalisierungskonzepte an der Schule benötigen mehr.

Schüler*innen und Lehrer*innen kamen aus dem Distanzun terricht zurück und so schnell, wie man sich auf das virtuelle Arbeiten einstellen musste, so schnell war es auch wieder vorbei. Alle am Schulleben Beteiligten haben sich in Moodle, Itslearning, etc. eingearbeitet und haben den positiven Nutzen des digitalen Unterrichts erlebt. Flipped Classroom war nicht mehr möglich, die Unterstützung von digitaler Lernsoftware nicht mehr verfügbar. Am Ende des Schuljahres wurden die an Schüler*innen ausgegeben Leihgeräte wieder eingesammelt und dem Schuletat zurückgeführt. Somit bekam die positive Entwicklung der Digitalisierung aus meiner Sicht wieder einen Dämpfer!

Also wieder zurück zu alten Zeiten?

Nein auf keinen Fall, denn alte Zeiten waren in den Schulen nicht mehr vorzufinden. Eine Zeit des Fernunterrichts hinterlässt nicht nur im Lernen seine Spuren – besonders die psychosoziale Entwicklung der Schüler*innen hat gelitten. Nichts war mehr wie vorher, da einfach andere Bedürfnisse der Schüler*innen im Vordergrund standen. Es wurde immer von Seiten des Kultusministeriums betont, dass das soziale Miteinander gefördert werden soll. Die psychosozialen Folgen des Fernunterrichts sind sehr individuell. Deshalb braucht es flankierend andere Kompetenzen für die Bewältigung der Coronafolgen. Schulsozialarbeiter*innen geben zwar ihr Bestes, um zu unterstützen und in den Klassengemeinschaften begleitend tätig zu werden. Jedoch ist die Personalausstattung der Schulsozialarbeit trotz aktuellem Ausbau oftmals zu gering. Die verstärkte Nutzung verschiedener Angebote der Jugendhilfe sowie der Ausbau von psychologischer Beratung und Therapieplätzen müssen vorangebracht werden. Eine gelingende Kooperation von Jugendhilfe und Schule ist wichtiger denn je.

Wie sieht es jetzt in den Schulen aus, wenn in Zeiten der Omikron-Mutationen Schulen wieder der Fernunterricht „droht“?

Einige Schritte sind wir mittlerweile schon weiter. Schulen haben immerhin die Möglichkeit, Leihgeräte an ihre Schüler*innen auszugeben und einen digitalen Anschluss zu ermöglichen. Hybride Lernformen sind noch nicht weiter etabliert, weil die Infrastruktur vor Ort an den Schulen fehlt (Breitbandinternet, Wlan-Versorgung in allen Klassenräumen, technische Ausstattung etc.) Leider bleibt es in den Lehr-Lern-Prozessen somit wieder bei einem „entweder/ oder“ – entweder analog oder digital –, entweder können Schüler*innen im Klassenzimmer live dabei sein oder sie werden durch eine Lernplattform von den Lehrer*innen mit Material versorgt. Es gibt noch viel zu tun!

Bis zu den Weihnachtsferien 2021 war ich selbst als Lehrerin vor den Klassen gestanden. Turbulente Zeiten waren dies für alle im Schulsystem Beteiligten – aber am meisten doch für die Schüler*innen. Die Schutzmaßnahmen wie Testen und Maskentragen wurden Normalität – aber Sicherheit gab und gibt es dadurch nicht. Testtage waren und sind immer von Anspannung geprägt, Unsicherheit, Flexibilität und Reagieren auf neue Problemlagen standen und stehen auf der Tagesordnung. Omikron wird diese Situation noch mehr verschärfen.

Was wird, ihrer Meinung nach jetzt das New Normal an der Schule?

Durch meine neue Aufgabe im PARITÄTISCHEN kann ich das System Schule aus einer anderen Perspektive mitgestalten. Schule ist für Kinder und Jugendliche nicht nur ein Lernort sondern ihre Lebenswelt! Digitalisierung müssen wir als Bereicherung unserer Lehr-Lernprozesse sehen und diese zur Förderung und Weiterentwicklung der Kompetenzen unserer Schüler*innen einsetzen.„Schule neu gestalten“– einen Ort, der Schüler*innen wieder ihre Selbstwirksamkeit erleben lässt, kreatives Denken und lösungsorientiertes Handeln fördert und alle ihre Potenziale entfalten können. Das ist mir wichtig! 

 

Kerstin Kleinheinz

Lehrerin und Sozialpädagogin

seit Januar 2022 Referentin für Jugend und Bildung im PARITÄTISCHEN Baden-Württemberg

 

Beitrag aus PARITÄTinform 1/2022

Wichtige Werkzeuge

Artikel merken