Schule hat die Aufgabe, die Welt zu öffnen

Fachinformation - geschrieben am 26.07.2022 - 13:30
Schülerin in einer Werkstatt

Sich beteiligen zu können, fördert demokratisches Verständnis

Während den ersten Wellen der Coronapandemie hatten es Schülerinnen und Schüler schwer. Ihre Bedürfnisse wurden hintenan gestellt. In der Freien Waldorfschule am Kräherwald in Stuttgart können sie mitreden und eigene Konzepte umsetzen.

Wie aus einer anderen Dimension! Die Figuren in den silbernen Mänteln, Gamaschen und Gesichtsschildern bewegen sich langsam vorwärts. Unter den dunklen Visieren sind ihre Augen nicht zu erkennen. Aber ihre Kopfhaltung zeigt, dass sie die Gießpfanne, die sie in einer Handtiegelzange geklemmt haben, nicht aus den Augen lassen. Schließlich fließt daraus geschmolzenes Aluminium, 750 Grad heiß! Amina Zaiser und Colin Ebinger, die sich unter der Schutzkleidung befinden, geben es in kleine Löcher, die aus mit Sand gefüllten Kästchen hervorlugen. Unterschiedlichste Objekte werden sich später aus den Sandgussformen herausschälen, wie etwa das kleine Flugzeug, das schon auf einer Ablage präsentiert wird.

Wert auf eigenständiges und soziales Lernen gelegt

Die jungen Menschen sind denn auch begeistert dabei, gestalten in ihrem eigenen Tempo, die Atmosphäre ist locker. Auch das gefällt Amina. „Es geht nicht nur um die üblichen Schulfächer wie Mathe oder Deutsch, neben den wissenschaftlichen Fächer zählen auch künstlerischer, praktischer, handwerklicher Unterricht – von Stricken und Nähen bis Schnitzen und eben Schmieden. Hier wird Wert gelegt auf eigenständiges und soziales Lernen, es gibt viele Möglichkeiten, sich einzubringen.“ Sie engagiert sich unter anderem in der Schülermitverwaltung (SMV), Cafeteria, Schulsanitätsdienst und Umwelt AG. „In der SMV haben wir unter 

anderem einen Hausaufgabenplaner entwickelt und für Fahr- radständer gesorgt, in der Umwelt AG für eine Tauschbörse, Flohmarkt und für die siebte Klasse einen Workshop zu ve- ganem Essen in der Schulküche organisiert“, erzählt sie. Und ergänzt: „Es macht Spaß, Verantwortung zu übernehmen.“

 

Das tut auch Emma Oberpaur. Sie engagiert sich eben- falls in der Umwelt AG. Die Initiative sei aus der Mitte der Schüler*innen gekommen, betont sie. „Das Artensterben, der Klimawandel, alles ist so präsent, man muss für eine nach- haltigen Lebenswandel sensibilisieren“, so die Elftklässlerin. Auch dass es nun Biolimonade und Umweltpapier gebe, hätte die Gruppe angeregt. „Das Tolle hier ist, wer hier ein eigenes Projekt vorschlägt, stößt bei den Lehrenden auf of- fene Ohren, sie bemühen sich stets, dass wir es umsetzen können.“ Schule sei eben auch Lebensraum, an dem es nicht nur um Bewerten, sondern um Wertschätzung des Menschen gehen müsse.

 

So wird in der Unter- und Mittelstufe auf Noten verzichtet. Stattdessen wird individuell beurteilt, auf Persönlichkeitsentwicklung und die Lernfortschritte der Schüler eingegangen. „Gemeinschaft spielt eine große Rolle, soziale Kompetenzen sind ein wichtiger Teil von Bildung, also auch dass Kinder und Jugendliche sich beteiligen können, das fördert demokratisches Verständnis“, lobt Emma. Sie ist auch bei den Streitschlichtern dabei und drehte für die Homepage ein Video, in dem sie durch ihre Schule führt: vom historischen Hauptgebäude zum Festsaal, in dem die achten und zwölften Klassen anspruchsvolle Theaterstücke einstudieren, bis zum Schulgarten mit den Ziegen. Ein blühendes Kleinod, wo Gartenbau unterrichtet wird.

Viel für das Leben nehme auch er mit, bestätigt dann im Lauerbau Rupert Schneider. So viel, dass er damit liebäugelt, nach dem bald anstehenden Schulabschluss in die Veranstaltungstechnik zu gehen. Der Oberstufenschüler steht bei Klassenspielen und Veranstaltungen auf der anderen Seite der Bühne, zeichnet für Beleuchtung und Ton verantwortlich. „Seit ich das erste Mal in der Achten dabei war, als unsere Klasse ihr Stück aufführte, hat es mich nicht mehr losgelassen“, beschreibt er. Der Schauspieler Christian Sommerlad, der neben Schneider sitzt und seit 45 Jahren die Bühne der Freien Waldorfschule am Kräherwald leitet, schmunzelt: „Schon war der Nachwuchs gesichert.“

Schule bedeute Leben lehren, unterstreicht auch er. Habe er anfangs Rupert und dessen Team in die Kunst des technisch in Szene Setzens eingeführt, lerne er heute mitunter von den Schülern, fügt der Regisseur hinzu. „Die Technik hat sich bekanntlich enorm gewandelt, alles läuft digital. Rupert ist nun Teamchef, er zeigt Neuen, wie es funktioniert.“ Der wiederum betont, was er alles in der Pandemie gelernt habe. „Wie andere mussten auch wir wegen Corona live streamen – das waren spannende Einblicke in die Berufswelt!“ Das Engagement am Theater vermittle neben dem Künstlerischem und Technischem eben viele Qualifikationen, so Schneider. Er schildert etwa „… Konzeption, Prozessablauf Kommunikation, Teamwork und -führung.“ Christian Sommerlad nickt, ein Fazit ziehend: „Schule hat die Aufgabe, die Welt zu eröffnen.“

Petra Mostbacher-Dix M.A.
 
Mehr Infos zur Freien Waldorfschule Am Kräherwald
Beitrag aus PARITÄTInform 2/2022

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