Verzahnung von technischer Assistenz und menschlicher Zuwendung

Fachinformation - geschrieben am 25.03.2022 - 09:02
ältere Dame im Rollstuhl wird am Rücken massiert

Sinnvolle Verzahnung von technischer Assistenz und menschlicher Zuwendung

Pflege verbindet Menschen. Technik kann und sollte diesen Beziehungen dienen. Angesichts steigender Lebens- erwartungen, niedriger Geburtenraten sowie eines bereits heute bestehenden Fachkräftemangels werden die Herausforderungen in der Pflege künftig noch zunehmen. Daher sind große Hoffnungen mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens verbunden, auch im Bereich der Pflege. Dennoch herrscht bei Teilen der Beschäftigten mitunter auch Skepsis, was die Auswirkungen dieser Entwicklungen anbetrifft.

Digitalisierung gemeinsam gestalten

Diese Bedenken müssen ernst genommen und die digitale Transformation gemeinsam gestaltet werden. Dafür ist es aber notwendig, bei den (zu) Pflegenden die entsprechenden Kompetenzen und Fähigkeiten aufzubauen. Das ist auch das Ziel des Landeskompetenzzentrums Pflege & Digitalisierung Baden-Württemberg. Im Herbst 2020 initiiert und seither auch durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden- Württemberg gefördert, arbeiten die Mitarbeiter*innen der Geschäftsstelle an digitalen Lösungen für die Langzeitpflege und deren gezieltem Transfer in die Praxis.

Studien zeigen: Pflegekräfte sind für digitale Technologien grundsätzlich aufgeschlossen.* Es wird auch ein großes Potenzial gesehen, dadurch die Sicherheit und Gesundheit der Pflegenden zu verbessern – allerdings versprechen sich durch Digitalisierung zunächst nur wenige Befragte eine Linderung des bestehenden Personalmangels. Professionell Pflegende erkennen vor allem Chancen in den Bereichen der digitalen Pflegedokumentation und in technischen Assistenzsystemen. Der Bereich der Robotik erfährt weniger Unterstützung, was einerseits auf fehlende Informationen bezüglich der möglichen Anwendungsszenarien zurückgeführt werden kann, andererseits jedoch auch auf Befürchtungen eines Qualitätsverlustes an sozialen Beziehungen. Technologien, die im Hintergrund unterstützend wirken (beispielsweise die Sammlung von Informationen zum Zustand der zu Pflegenden oder im Bereich der Logistik) und zu einer Förderung der „Arbeit am Patienten“ beitragen, werden positiver betrachtet.

Bilden und beraten

Entscheidend ist also, ob die Einführung digital gestützter Pflegeinnovationen diese Befürchtungen zerstreuen und die Wünsche aufnehmen kann, damit der konkrete Nutzen für alle Beteiligten klar wird. Als zentrale Anlaufstelle für Beratungs-, Schulungs- und Bildungsangebote erfüllt das Landeskompetenzzentrum auch eine wichtige Vernetzungs- und Demonstrationsfunktion. 

So sollen Interessierte und Angehörige von Menschen mit Pflegebedarf ebenso wie professionell Pflegende die Möglichkeit erhalten, verschiedene Anwendungen im echten Leben zu testen und sich einen Eindruck zu verschaffen. Daher unterstützt PflegeDigital@BW künftig auch landes- weit beim Wissenstransfer und Kompetenzaufbau, sowohl in den neu geplanten Schulungsräumen in und um das LebensPhasenHaus in Tübingen als auch mithilfe eines Transfermobils direkt vor Ort. Gemeinsam sollen so alle Beteiligten voneinander lernen, damit digital unterstützte Dienste für Menschen mit Pflegebedarf und die Pflegenden gleichermaßen nützlich und beherrschbar sind.

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten

Der Anwendungsbereich ist groß. Die pflegerische Versorgung über digitale Technologie (TeleCare) könnte beispielsweise das Zuschalten von Kolleg*innen bzw. Spezialist*innen sowie den gemeinsamen Austausch in multiprofessionellen Teams und die Kommunikation mit An- und Zugehörigen über Bildtelefonie ermöglichen. Zudem helfen digitale Anwendungen bei Medikation, Coaching und Prävention. Gerade im Bereich der Aus-, Fort- und Weiterbildung wird schon heute auf Virtual/Augmented Reality (VR/AR)-Systeme gesetzt.

Anwendungsfelder der Robotik beschränken sich meist noch auf die Unterstützung bei Routinetätigkeiten, bei Service und Transport sowie auf die körperliche Entlastung bei Transfer und Lagerung, z. B. durch Exoskelette. Leitplanken des Einsatzes intelligenter Roboter sollten auch in Zukunft die ethischen Regeln sorgender Obhut und der Achtsamkeit in der Pflege sein, die der Interaktion von Mensch zu Mensch Priorität geben.

Das gilt auch für den Einsatz von Assistenzsystemen aus dem Bereich des sogenannte Ambient Assisted Living. Diese AAL-Systeme passen sich im Idealfall selbstständig an unterschiedliche Nutzungsszenarien und an die variierenden Bedürfnisse der Nutzer*innen an. Entsprechend vielfältig sind die Anwendungsbereiche in der Pflege, die ein selbstständiges Leben in den eigenen vier Wänden ermöglichen sollen. Das Spektrum reicht von vernetzten Wasser- bzw. Feuermeldern sowie smarten Hausnotrufsystemen, die Unregelmäßigkeiten bei Strom- oder Wasserverbrauch(smustern) an eine Leitstelle melden, über GPS- oder 5G-Tracker zur Unterstützung der Pflege demenziell erkrankter Personen bis hin zu komplexen Sturzpräventionssystemen.

Mehr zwischenmenschliche Begegnung

Letztlich geht es um die sinnvolle Verzahnung von technischer, digitaler Assistenz und menschlicher Zuwendung. So kann eine weitere Digitalisierung der Pflege unter anderem dabei helfen, reale zwischenmenschliche Begegnung dadurch zu fördern, dass bisher zeitintensive Vorgänge – beispielsweise in der Arbeitsorganisation, Dokumentation und Abrechnung – vereinfacht und neue Möglichkeiten der persönlichen Begleitung gefördert werden, statt diese zu ersetzen. Das trifft auch den Wunsch der Bevölkerung. Um- fragen** zeigen, dass die große Mehrheit der Bürger*innen eine weitere Digitalisierung der Pflege als große Chance erkennt und einen verstärkten Einsatz von digitalen Anwendungen ausdrücklich begrüßt. ■

 

Prof. Dr. Daniel Buhr

Leiter des Steinbeis Transferzentrums Soziale und Technische Innovation

Außerplanmäßiger Professor an der Fakultät für Wirtschaftsund Sozialwissenschaften der Universität Tübingen

 

Quellen: 
*vgl. beispielsweise Merda/Schmidt/Kähler 2017; Rösler et al. 2018; Eggert/ Suhmann/Teubner 2019
**Zentrum für Qualität in der Pflege ZQP 2019

 

Beitrag aus PARITÄTinform 4/2021

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